Blickpunkt Film: Viel Licht - The Shift - Lone Scherfig Interview

Scherfig wollte »eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt erzählen« und freute sich, endlich wieder in ihrer Muttersprache schreiben zu können. Da die Coronapandemie den Fokus weltweit auf das medizinische Personal gerichtet hat und zahlreiche Krankenhäuser in Dänemark neu gebaut werden, war es naheliegend, ein Krankenhaus als Ort dafür zu wählen. Die neuen Gebäude werden nicht nur medizintechnisch auf dem neuesten Stand ausgerüstet, sondern widmen sich auch in der lichtdurchfluteten, in die Natur eingepassten Architektur und dem Design und der Farbgebung der Ausstattung dem Wohlbefinden der Patient*innen. Im Zentrum der Serie, die seit dem 21. Juni in einem im Studio in Kopenhagen aufgebauten Krankenhaus gedreht wird, stehen Oberärztin Ella, gespielt von Sofie Gråbøl, und ihr Team. Gråbøl ist in Dänemark ein Star und auch hierzulande als Titelheldin der Serie Kommissarin Lund bekannt. Der Arbeitsalltag ebenso wie das private Freud und Leid des Teams sowie das ihrer Patientinnen und deren Angehöriger wird realistisch, mit Gefühl, aber nicht sentimental über den Verlauf fast eines Jahresgeschildert. Die Serie thematisiert dabei individuelle wie gesellschaftliche Probleme. Hierzulande und anderswo gibt es bereits zahlreiche Medical-Dramas. Scherfig sieht kein Problem der Konkurrenz sondern eher die Popularität und Relevanz des Genres. »Außerdem sind unsere Patientinnen nicht krank«, sagt sie gut gelaunt. »Ich kenne nicht so viele Krankenhausserien, gehe aber davon aus, dass sich unsere Serie in Ton und Look von den anderen unterscheidet. Unsere Absicht war dabei nicht, uns von etwas abzuheben, sondern etwas zu schaffen, das bedeutungsvoll ist und berührt. Ich hoffe, dass der Film als wahrhaftig wahrgenommen wird. Der Look ist durch die moderne Architektur skandinavisch, luftig. Schön soll die Serie ja auch sein.«
So wird die Serie auch als Nordic Light beschrieben im Gegensatz zum Label Nordic Noir, das sich für die düsteren, skandinavischen Krimis, Thriller und Dramen etabliert hat. Es beschreibe das tatsächliche Licht, so Scherfig, die Helligkeit der Szenerie, aber auch den Inhalt. »Im Gegensatz zum Krimi werden nicht menschliche Abgründe erforscht, sondern es wird erzählt, wie das Krankenhauspersonal darum kämpft, neues Leben zu ermöglichen, auch wenn die Figuren durchaus auch Sorgen und Untiefen haben«, skizziert Scherfig. Oder wie Anais de Neergaard, VP International Sales & Acquisitions BeNeLux, Skandinavien und Israel von Beta Film es ausdrückt: »Mit ihrer einzigartigen Art und Weise nordische Leichtigkeit, Spannung und Drama zu vereinen, bahnt Scherfig den Weg für einen noch nie dagewesenen Stil des Filmemachens: Nordic Light.«
Neben Schauspieler*innen wie Pål Sverre Hagen, Mattias Nordkvist oder Marijana Jankovic gehört auch echtes Krankenhauspersonal zur Besetzung und wie echtes Krankenhauspersonal sind auch die Figuren, ist die Besetzung divers, mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund, in unterschiedlichem Alter usw. Auch die Besetzung solle zeitgenössisch wirken, betont Scherfig. Die Schauspieler*innen lernten zur Vorbereitung von Hebammen und in einer Entbindungsstation, wie sie mit Müttern und Babys umgehen sollen. Nicht nur, um viele Ärzt*innen und sonstiges Krankenhauspersonal im Publikum nicht zu verärgern, sondern auch zur Sicherheit für Cast und Crew beim Dreh, so Scherfig, die vorab viel für ihre Drehbücher recherchiert hat und den Einsatz des medizinischen Personals sehr inspirierend fand.
Durch die Struktur als Ensemblegeschichte habe sich der Stoff von vornherein als Serie angeboten, fühle sich »eher wie ein Roman als ein Film an«, so Scherfig, die nie an eine Spielfilmbearbeitung gedacht hat. Sie inszenierte bereits Serien, dänische, zuletzt auch internationale wie The Astronaut’s Wives Club. Darauf angesprochen, dass sie bei The Shift erstmals als Showrunner agiere, sagt sie: »Ich nutze meine langjährige Erfahrung als Drehbuchautorin und Regisseurin, richte meinen Fokus auf die Qualität, darauf, die bestmöglichen Bedingungen für die Regisseure zu schaffen – genau wie man beim Curling vorab mit dem Besen die Eisbahn glättet.« Søren Balle, zuvor u.a. bei der Netflix-Serie The Rain tätig, und Ole Christian Madsen, der u.a. bei Tage des Zorns und Folgen der Serie Banshee Regie führte, inszenieren die ersten sechs Folgen, Scherfig die letzten beiden. Sie sieht die Serie in guten Händen, Madsen gehört wie Geschäftsführerin Malene Blenkov, Scherfig und der isländische Filmemacher Dagur Kari zu den Gründer*innen der Kopenhagener Firma Creative Alliance, die die aufwändige Produktion im Auftrag von TV2 Denmark stemmt. »Wir sind alle Freunde und wollen das selbe für unsere Projekte, unser Bestes geben«, so Scherfig, die lachend zugibt, dass, wenn sie selbst inszeniert, vergesse, dass sie auch Produzentin und Gesellschafterin der Firma ist und es ihr dann egal sei, wie viel etwas kostet. Deswegen teilen sich die Firmenpartner*innen die Aufgaben bei den Projekten auch auf, sind als Regisseur*in, Drehbuchautor*in oder Produzent *in tätig. Mit der eigenen Firma zu produzieren, bietet für Scherfig auch eine gewisse Sicherheit, wenn einmal etwas schief läuft. Sollte etwa jemand erkranken und ausfallen, könne man selbst umorganisieren.
Gedreht wird mit echten Babys und auch VFX. »Wir haben eine erfahrene Crew und hatten viel Zeit zur Vorbereitung.« Nicht dass die Coronapandemie das Projekt verzögert hätte – im Gegenteil: »Die Pandemie hat das Projekt beschleunigt. Da ich nicht reisen konnte, konnte ich mich ganz auf die Serie konzentrieren.« Wegen der andauernden Pandemie sei man beim Dreh natürlich »supervorsichtig« insbesondere beim Umgang mit den Babys und werdenden Müttern. Die Finanzierung sei nicht besonders schwierig, wenn auch wie immer nicht ganz einfach gewesen. »Aber man vertraute uns«, so Scherfig. »Und das Gesundheitssystem ist uns in Skandinavien allen gleich wichtig.« »Das Konzept der Entbindungsstation als »Epizentrum der Emotionen und auch Konversationen über die Gesellschaft« habe einen Nerv getroffen, so dass Förderungen wie Dänisches Filminstitut sowie Nordisk Film einstiegen. Und eben auch Beta Film, die die Weltrechte außerhalb Skandinaviens und Benelux hält. Gedreht wird bis in den Herbst, im Frühjahr bzw. ersten Halbjahr soll die Serie ausgestrahlt werden. Scherfig hat auch schon Ideen für eine bzw. mehrere weitere Staffeln. Man spricht mit Autor*innen, welche Figuren man weiterentwickeln, von einer anderen Seite zeigen, welche andere Stationen des Krankenhaus man beleuchten wolle. Auf jeden Fall werde die aktuelle Staffel für sich alleine stehen können, so Scherfig, die auch ein neues Kinoprojekt entwickelt, über das sie aber noch nicht reden darf. Auf die Frage, warum dänische Filme, Serien so gut international ankommen, antwortet Scherfig: »Wie in Deutschland produzieren wir auch hierzulande viele Komödien, die international nicht so stark wahrgenommen werden. Ein Grund für den Erfolg ist wohl die sehr gute Filmhochschule in Kopenhagen, an der wir alle studiert haben. Lars von Trier und auch Bille August zeigten uns, dass es möglich ist, für den internationalen Markt zu kreieren. Außerdem haben wir ein starkes Fördersystem, ohne dass wir als kleines Land und in einer von so wenigen Menschen gesprochenen Sprache nicht so viel produzieren könnten. Und wir sind eine echte Filmcommunity, die sich gegenseitig unterstützt. Auch bei uns gibt es Braindrain. Viele Kollegen arbeiten international, sie kehren aber wieder zurück, weil es sich in Dänemark gut mit einer Familie leben lässt.«